Pflichtfach Medienkunde

Kaum sind die Sommerferien zu Ende, wird die Kritik an der schleppenden Digitalisierung in den Schulen wieder lauter. Susanne Marell, CEO Hill+Knowlton Strategies Deutschland und Gründungsmitglied von Global Women in PR Deutschland, fordert: Der gesamte Berufsstand der PR sollte sich dringend für bessere digitale Angebote einsetzen. Sonst wird sich unsere Gesellschaft weiter spalten.

Mein Sohn, siebte Klasse, erhielt im vergangenen Schuljahr vier Stunden Unterricht in Medienkunde. Das ist besser als nichts. Doch die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie 2019 finde ich als Mutter und überzeugte Demokratin alarmierend. Mehr als die Hälfte der Befragten glaubt: „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit.“

Wo formen sie diese Überzeugungen? Mehrheitlich im Netz, wo 34 Prozent der Jugendlichen täglich bis zu zweieinhalb Stunden verbringen, weitere 34 Prozent bis zu vier Stunden und 26 Prozent noch mehr ihrer Zeit.

Sie müssen lernen, kritisch zu hinterfragen, was sie bei Instagram, TikTok, YouTube und Co zu sehen bekommen. Sonst wird sich unsere Gesellschaft weiter spalten, und jene, die digitale Plattformen manipulativ einzusetzen wissen, haben leichtes Spiel.

Deswegen schließe ich mich der Forderung von Experten an, die schon lange ein Pflichtfach Medienkunde fordern: Schüler müssten lernen, Desinformation, verzerrte Fakten und Fake News als solche zu erkennen. Nur weil mich der Stand digitaler Bildungsangebote an unseren Schulen beschäftigt, muss es jeden Kommunikator interessieren?

Natürlich ist Schulbildung Sache des Bildungsministeriums. Im Mai 2019 wurde die Vereinbarung zum „DigitalPakt Schule“ unterschrieben. Passt doch alles. Ich könnte mich weiter darauf konzentrieren, Vorstände in Social Media fit zu machen, Bewerber mit relevanten Inhalten zu begeistern und Produkte mit Influencern perfekt zu positionieren, oder?

Hier drei Gründe, warum sich unser gesamter Berufsstand dringend für eine Verbesserung der digitalen Angebote an Schulen einsetzen sollte:

>>> Qualifizierte Nachwuchssicherung gehört zum Pflichtprogramm eines jeden Berufsstands. Digitale Bildung kann nicht erst mit der Wahl des Studienfachs erfolgen. Dann ist es definitiv zu spät. Das gilt für den mündigen Umgang mit Nachrichten, aber auch für die Chancen, die sich durch neue Berufsbilder ergeben.

>>> Verbindliche Standards definieren unser Grundverständnis und bilden den Rahmen für professionelle und transparente Kommunikation. Die Digitalisierung hat den Kommunikationsberuf signifikant verändert. Und das Mediennutzungsverhalten der Digital Natives zeigt uns, dass wir Standards adjustieren beziehungsweise neu definieren müssen – zum Beispiel hin zu noch mehr Transparenz des Absenders und der Quelle.

>>> Klare Haltung gegenüber den wichtigen sozial-politischen Fragen unserer Zeit sollten wir nicht nur Management und Kunden empfehlen, sondern natürlich auch unserer eigenen Zunft. Demokratische Partizipation ist ohne das Verständnis von Meinungsbildungsprozessen nur schwer möglich. Die Sicherung entsprechender Bildungsangebote muss auf unserer Agenda stehen.

Und wie können wir uns einbringen? Wir können Schulen vor Ort unterstützen, wir können mit Lehrern und Journalisten Bildungsinhalte diskutieren, und wir können eine klare politische Forderung der Kommunikationsbranche formulieren: Medienkunde als Pflichtfach.


In dieser prmagazin-Kommentarreihe schreiben die Mitglieder des Vereins Global Women in PR (GWPR) Deutschland jeden Monat über Themen, die sie bewegen.

Die Kolumne von Susanne Marell ist zuerst in der April-Ausgabe 2020 erschienen. Im Mai-Heft 2020 schrieb Anke Schmidt, im Juni Kristina Faßler, im Juli Gabriele Kaminski, im August Susanne Arnold, im September Monika Schaller und in der Oktober-Ausgabe erscheint ein Kommentar von Babette Kemper. Die genannten Kolumnen werden wir in den kommenden Monaten sukzessive online stellen.

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